Am 1.9. hat die IG24 – Interessengemeinschaft der 24h-Betreuer:innen, gemeinsam mit Partnerorganisationen (Amnesty International Österreich, LEFÖ, UNDOK, CuraFAIR Volkshilfe, Claim the Space) vor dem Sozial- und dem Wirtschaftsministerium für sichere Arbeitsbedingungen in der 24h-Betreuung demonstriert. Anlass dafür war der Autounfall eines Personentrasporters, der das Leben einer rumänischen 24h-Betreuerin gekostet und mehrere weitere Betreuerinnen verletzt hatte.

Die 24h-Betreuerinnen und Betreuer und ihre Unterstützer:innen trauern um die Kollegin und sind wütend und empört über die strukturellen Mängel, die die Branche prägen und die von der Politik seit Jahren ignoriert werden.

 

Dieser Unfall ist kein Einzelfall, sondern hat eine Geschichte, die sich in der 24h-Betreuung in Österreich regelmäßig wiederholt und immer wieder Leben kostet. Denn mit dem Transport der Betreuer:innen zwischen Österreich und den Heimatländern wird ein weiteres Geschäftsmodell praktiziert. Berichte über änlichen Unfälle erreichen unsere Community immer wieder:

  • März 2014: 5 Tote und 3 Verletzte
  • September 2017: 8 Verletzte
  • Oktober 2017: 7 Tote
  • April 2018: 6 Verletzte
  • Mai 2018: 7 Tote
  • Oktober 2018: 6 Verletzte
  • Jänner 2020: 6 Verletzte
  • Oktober 2021: 5 Tote

und viele weitere..

 

Betreuer:innen dürfen oft nicht frei über die Transportmöglichkeiten bestimmen, sondern werden – dies war auch beim Unfall letzter Woche der Fall – vertraglich gezwungen mit den von den Vermittlungsagenturen ausgewählten Transportunternehmen zu reisen. Diese Minibusse bringen vielen Risiken mit sich, wie zum Beispiel überlastete Fahrer, die oft zu lange Strecken alleine fahren müssen, nicht eingehaltene Pausenzeiten pro Fahrt oder fehlende Belege oder Karten für die gezahlten Fahrten. Oft agieren die Fahrer sogar als Quasi-Angestellte der Vermittlungsagenturen und zwingen die Betreuer:innen Verträge unter Druck und auf die Schnelle etwa in einer Tankstelle am Weg zum Betreuungsplatz in Österreich zu unterzeichnen.

 

“Die Transportunternehmen und die Vermittlungsagenturen werden von niemandem kontrolliert. Wir wollen nicht noch länger Opfer sein, auf deren Kosten sie sich die eigenen Taschen füllen.” — Frau R., 24h-Betreuerin

 

Strengere Regelungen und Qualitätskontrollen fehlen hier offensichtlich sowohl für Kleintransportunternehmen als auch für Vermittlungsagenturen. Am dringendsten ist jedoch die Sicherstellung des arbeitsrechtlichen Schutzes für die 24h-Betreuer:innen. Es ist völlig inakzeptabel, dass Betreuerinnen, die derzeit in Österreich unter v.a. sozialrechtlich menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten müssen, nicht einmal frei über die Reisemöglichkeiten zwischen dem Heimatland und dem Arbeitsplatz bestimmen dürfen. Der jetzige Fall ist ein weiteres Beispiel dafür, wie das aktuelle (schein-)selbständige Arbeitsmodell die 24h-Betreuer:innen teilweise dramatischen Risiken aussetzt..

 

“Wissen Sie, wie Transportunternehmen mit den Passagieren umgehen? Als ob wir zufrieden sein sollten, dass wir mit ihnen überhaupt reisen dürfen. Sie glauben, dass sie uns einen Gefallen tun, wenn sie uns zur Arbeit fahren und wieder abholen. Sie denken, wenn sie uns nicht an der Adresse in Österreich abholen und absetzen würden, würden sich viele von uns verirren und wir wüssten nicht einmal, wie wir aus unserem Haus herauskommen. Es ist einfach erniedrigend, aber wir haben keine  Alternativen. Niemand schaut sich diese Situation an.”

—  Frau R., 24h-Betreuerin

 

Die IG24 fordert: Die im Zuge der Pflegereform geplante Qualitätsverbesserungen in der 24h-Betreuung muss auch für bessere Transportbedingungen, wie sichere, frei wählbare Reiseoptionen für die Betreuerinnen und Betreuer sorgen, deren Kosten nicht noch zu Lasten der Betreuer:innen gehen dürfen. 

 

Auch Montserrat Romero von Amnesty International Österreich, Isabella Chen vom Verein LEFÖ – Interventionsstelle für Betrofene des Frauenhandels, Philip Taucher von UNDOK – Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung UNDOKumentiert Arbeiter und Christian Leitner von CuraFAIR – Anlaufstelle für 24-Stunden-Betreuer*innen hielten reden und sagten dabei unter anderem:

„Wieder einmal wurde uns auf entsetzliche Weise vor Augen geführt, wie prekär die aktuelle Situation für Betreuer*innen ist und wie dringend etwas geändert werden muss. Menschenleben stehen am Spiel und die unsicheren Arbeitsbedingungen von vielen Betreuer*innen haben zum Teil tragische Konsequenzen.“

— Annemarie Schlack, Amnesty International Österreich

 

“Dieser tragische Fall zeigt, dass 24h-Betreuerinnen nicht einmal ihren Arbeitsweg selbst bestimmen können. Von welcher Selbstständigkeit der 24h-Betreuerinnen reden wir hier dann? Benötigen wir wirklich Unfälle, damit die Politik die vielen Lücken der Scheinselbständigkeit hinterfragen?

 

24h-Betreuerinnen können in Österreich unter diesen Bedingungen nicht sicher arbeiten.
Sie tragen ein System, das unter anderem davon lebt, dass ihre Arbeit unsichtbar gemacht und abgewertet wird.” 

— Isabella Chen, LEFÖ – Interventionsstelle für Betrofene des Frauenhandels

 

24-Stunden-Betreuer*innen, die unter schwersten Bedingungen arbeiten, werden vertraglich gezwungen, mit Transporten der Vermittlungsagenturen zu reisen und so Risiken auf sich zu nehmen. Es geht nicht um einen Unfall, der passieren kann. Dieser Unfall hat System.“

— Philip Taucher, UNDOK – Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung UNDOKumentiert Arbeiter

 

Immer wieder erfahren wir von Betreuerinnen, dass die Agenturen die Kosten für den Transport einbehalten, auch wenn der Transport von der Betreuerin gar nicht beansprucht wird. Für uns von CuraFAIR – der Anlaufstelle für 24-Stunden-BetreuerInnen ist das nur ein weiterer Puzzle-Stein, der aufzeigt, wie abhängig Personenbetreuerinnen von manchen Vermittlungsagenturen sind – und es sich bei den Arbeitsverhältnissen oft um Scheinselbstständigkeit handelt!“

— Christian Leitner, CuraFAIR – Anlaufstelle für 24-Stunden-Betreuer*innen