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Interview mit Christian Leitner, Projektleiter von Curafair

IG24: Curafair macht seit Sommer 2019 Beratungsarbeit für 24h Betreuer_innen und ist damit die einzige unabhängige und kostenfreie Anlaufstelle österreichweit.

Kannst du etwas über das Konzept und die Erfahrungen in der Beratungsarbeit sagen?

Als Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung (in Oberösterreich) sind wir seit 30 Jahren in der Beratung und Betreuung von MigrantInnen aktiv. Spätestens seit 2018 haben wir bemerkt, dass sich auch immer häufiger PersonenbetreuerInnen bei uns melden. Die Bandbreite reichte von sehr leicht zu beantwortenden Fragen nach Deutschkursen, ging aber bis hin zu sehr komplexen Detailfragen, etwa zur Sozialversicherung oder den Rechten und Pflichten als Selbstständige. Wir dachten uns daher, dass wir ein eigenes Projekt speziell für PersonenbetreuerInnen machen müssen, weil die Nachfrage eben so groß war und ist. Insbesondere im Zuge der Corona-Krise wurde offensichtlich, wieviele Probleme es in der sogenannten 24-Stunden-Betreuung gibt. Im Rahmen der Pflegereform des Gesundheitsministeriums ist somit auch unsere Anlaufstelle entstanden.

Wir bieten soziale und sozialrechtliche Beratung für die Personenbetreuerinnen an, veranstalten aber auch Betreuerinnencafés bzw. unterstützen andere ehrenamtlich Engagierte beim Aufbau dieser Cafés. Darüber hinaus wollen wir aber auch auf die vielen Probleme, die es in der 24-Stunden-Betreuung gibt und auf die hervorragende Arbeit der PersonenbetreuerInnen aufmerksam machen, und sind auch in Kontakt mit Interessensvertretungen und Politik.

IG24: Was sind die Themen, mit denen ihr seitens der Betreuer_innen konfrontiert seid?

Die Reichweite der Themen ist sehr groß. Zumeist geht es um jene Fragen, die mit der formalen Selbstständigkeit der Betreuerinnen zu tun haben. Personenbetreuerinnen wissen oft gar nicht, dass sie als Selbstständige arbeiten und dass damit auch Pflichten einhergehen. Deswegen handelt es sich sehr oft um Fragen rund um die Sozialversicherung oder das Finanzamt. Wir wissen allzugut, dass die Bürokratie auch für ÖsterreicherInnen teilweise sehr schwierig sein kann, für ausländische Personenbetreuerinnen, die oft die Sprache nicht perfekt beherrschen, ist es teilweise unmöglich, ohne Unterstützung Formulare auszufüllen.

Des Öfteren vermitteln wir auch, wenn es Probleme zwischen den BetreuerInnen und Agenturen bzw. Angehörigen der betreuten Person kommt. Manche Agenturen nehmen es leider mit den rechtlichen Grundlagen nicht so genau, behalten etwa vertraglich nicht geregelte „einmalige Sonderzahlungen“ ein. Hier fragen wir dann nach, wie es zu diesen Zahlungen gekommen ist und was die Grundlage dafür ist.

Es gibt aber vereinzelt auch wirklich schwierige Schicksale, wo es etwa zu sexuellen Übergriffen auf die Betreuerinnen kommt. Auch dort unterstützen wir die Betreuerinnen und versuchen ihnen dabei zu helfen, zu ihrem Recht zu gelangen.

IG24: Die Betreuer_innen kommen aus Rumänien, Slowakei, Bulgarien, BSK,Ungarn und Kroatien.

 Wie löst ihr das Problem der erstsprachlichen Beratung?

Aktuell haben wir drei Beraterinnen, die zusammen muttersprachlich Rumänisch, Slowakisch, Tschechisch, Ungarisch und auch Deutsch und Englisch sprechen können. Mehr als 85% der Personenbetreuerinnen in Österreich werden somit abgedeckt. Als Volkshilfe haben wir das Glück, in anderen Projekten auch MitarbeiterInnen zu haben, die etwa Bulgarisch, BSK und viele weitere Sprachen muttersprachlich beherrschen. Bei solchen Fällen holen wir uns Hilfe aus anderen Abteilungen.

IG24: Ihr habt seitens des Gesundheitsministeriums den Auftrag bekommen, weitere Anlaufstellen in Graz und Wien aufzubauen.
Kannst du etwas über den Stand der neuen Anlaufstellen sagen?

Die Anlaufstellen in Wien und Graz wurden bereits eröffnet. Das hat den Vorteil, dass wir uns auch mit anderen Institutionen und AkteurInnen regional besser vernetzen können. Die PersonenbetreuerInnen müssen ja zu einem Großteil des Tages bei ihren KlientInnen sein und haben nur selten Pause. Daher findet auch ein Großteil der Beratungen telefonisch oder digital statt. Wenn Corona es wieder zulässt, ist außerdem geplant, in Wien und Graz mit dem Aufbau lokaler BetreuerInnencafés zu beginnen. Da ist es natürlich von Vorteil, wenn man direkt vor Ort ist.

IG24: Sind auch in Westösterreich solche Stellen geplant?

Geplant sind solche Stellen leider noch nicht. Wir arbeiten aber daran, unser Angebot auch in Westösterreich regional anbieten zu können. Dazu braucht es aber noch zusätzliche FördergeberInnen.

IG24: Seid ihr deiner Meinung nach ausreichend finanziert?

Grundlegend können wir mit dem vorhandenen Budget gut arbeiten. Wir haben aber dennoch festgestellt, dass weitere finanzielle Mittel schon notwendig wären, um eine noch bessere Beratung zu garantieren. Ebenso wäre es sinnvoll und notwendig, pro Bundesland eine Anlaufstelle zu haben, die die BetreuerInnencafés und die Beratungen selbstständig organisieren könnte.

IG24: Zum Schluss noch die „Gretchenfrage“ in dieser Branche: Was ist deine Meinung zum Status der Selbstständigkeit der Betreuer_innen? Im ÖGB sind ja kürzlich erst Stimmen laut geworden, die ein Ende der (Schein)selbstständigkeit und die Anstellung der Betreuer_innen bei gemeinnützigen Organisationen fordern!

https://www.arbeit-wirtschaft.at/24-stunden-betreuung-pandemie/?fbclid=IwAR0WjKYSmBfWblfpRWfKjZ8YFeBe37qvi0M_SVzZrVjnDQjBFCXcwlxClvk

Das ist natürlich eine sehr wichtige Frage. Rein formal sind viele definierende Eigenheiten der Selbstständigkeit bei der Arbeit der PersonenbetreuerInnen nicht gegeben: Freie Zeitauswahl, freie Wahl des Arbeitsplatzes, keine direkten Vorgesetzen, Weisungsfreiheit etc. Viele Stimmen, auch aus den Rechts- und Sozialwissenschaften meinen, dass die Arbeit der PersonenbetreuerInnen aus diesen Gründen nicht viel mit Selbstständigkeit zu tun hat.

Wir können diese Argumente jedenfalls nachvollziehen. Generell hat auch die Corona-Krise gezeigt, dass das gesamte Arrangement der sogenannten 24-Stunden-Betreuung in Österreich sehr brüchig ist. Selbstverständlich müssen wir somit auch über die Zukunft der Altenbetreuung in Österreich und über Alternativen zum Selbstständigenmodell der sogenannten 24-Stunden-Betreuung nachdenken. Unsere erste Priorität sind jedenfalls gute Arbeitsbedingungen für die PersonenbetreuerInnen, daraus resultiert folglich auch eine Verbesserung der Betreuungsleistung. Dafür werden wir uns weiterhin einsetzen!

IG24: Wir wünschen euch viel Erfolg beim Aufbau der neuen Anlaufstellen und freuen uns schon auf die weitere Zusammenarbeit!

Vielen Dank für das Interview!

 

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