Ergebnisse aus 1427 Befragungen zeigen hochproblematische Arbeitsbedingungen – IG24 fordert Anstellung statt Scheinselbständigkeit
„Die Studie zeigt das Ergebnis von fast zwei Jahrzehnten Politik-Versagen: Personenbetreuer_innen werden in Österreich wie Arbeitskräfte zweiter Klasse behandelt. Sie werden in Arbeitssituationen gedrängt, in denen sie einem hohen Risiko von Ausbeutung, Überbelastung und Gewalt ausgesetzt sind. Dafür erhalten sie extrem niedrige Honorare und kaum Unterstützung von österreichischen Behörden“
Flavia Matei, IG24
Eine neue Befragung von 1427 Personenbetreuer_innen in Österreich zeigt besorgniserregende Zustände in der Arbeits- und Lebensrealität in dieser Branche. Fast die Hälfte der Befragten haben angegeben, körperliche, verbale oder psychische Gewalt erfahren zu haben. 14% haben sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Weiters zeigen die Studienergebnisse viele Hinweise, dass Scheinselbständigkeit in der Branche weit verbreitet ist. So können zum Beispiel 91% der Befragten ihr Honorar nicht selbst verhandeln. Die IG24 fordert daher ein Anstellungsmodell für Personenbetreuer_innen in Österreich, wie es zum Beispiel in der Schweiz bereits Realität ist.
“Die Studie zeigt das Ergebnis von fast zwei Jahrzehnten Politik-Versagen: Personenbetreuer_innen werden in Österreich wie Arbeitskräfte zweiter Klasse behandelt. Sie werden in Arbeitssituationen gedrängt, in denen sie einem hohen Risiko von Ausbeutung, Überbelastung und Gewalt ausgesetzt sind. Dafür erhalten sie extrem niedrige Honorare und kaum Unterstützung von österreichischen Behörden”, sagt Flavia Matei von der IG24 – Interessengemeinschaft der 24h-Betreuer:innen.
Die Realität des derzeitigen Selbstständigen-Modells ist, dass die vertraglichen Arbeitsbedingungen von den meisten Betreuer_innen nicht selbst festgelegt werden können – diese werden in der Regel von einer Vermittlungsagentur bestimmt. Zudem stehen die Arbeitsverträge nur einem geringen Teil der Betreuer_innen vor Arbeitsbeginn zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass 65% der befragten Betreuer_innen die Agentur generell oder zumindest gelegentlich als Arbeitgeberin wahrnimmt.
Ein großer Teil der befragten Betreuer_innen ist armutsgefährdet. Nur 6% der befragten Personenbetreuer_innen geben an, dass sie von ihrem Einkommen gut leben können. Für den größten Teil der Befragten (44%) reicht das Einkommen gerade aus. Für 21% reicht es nicht aus. Das derzeitige Modell der “24-Stunden-Betreuung” ist daher nicht auf ein Auskommen in Österreich, sondern auf die Pendelmigration aus Ländern mit niedrigeren Lebenserhaltungskosten ausgelegt. Ein Drittel der Befragten kann sich nicht vorstellen, in drei Jahren noch als Personenbetreuer_in tätig zu sein.
Die Studie zeigt außerdem, welche Verbesserungen sich die Betreuer_innen am dringendsten wünschen. Eine große Mehrheit wünscht sich eine bessere soziale Absicherung: Als sehr wichtig bzw. wichtig geben 96% Arbeitslosengeld und 99% Krankengeld an. Beide Leistungen erhalten Personenbetreuer_innen in Österreich derzeit nur, wenn sie eine Zusatzversicherung abschließen. 99% geben höhere Pensionen als wichtig bzw. sehr wichtig an. Auch wünschen sich die Befragten geregelte tägliche Arbeitszeiten (97%) und die Einhaltung der täglichen Pause (99%).
Derzeit gibt es allerdings keine Bereitschaft von Politik und Sozialpartnern, die Arbeitsbedingungen durch die Zuerkennung von Arbeitsrechten strukturell zu verbessern. Die nächste Bundesregierung muss die Missstände in dieser Branche beheben. “Spätestens jetzt kann die österreichische Bundesregierung nicht mehr behaupten, dass das Problem nicht bekannt wäre. Wir haben das Unsichtbare sichtbar gemacht. Der einzige Weg um die hochproblematischen Arbeitsbedingungen in der Branche nachhaltig zu verbessern, ist es ein gesetzliches System der Anstellung für Personenbetreuer_innen zu schaffen, wie es etwa in der Schweiz bereits existiert”, fordert Flavia Matei von der IG24.
Die Kurzfassung der Ergebnisse finden Sie hier.