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Qualität in der 24-Stunden-Betreuung. Ist ÖQZ-24 eine wirksame Lösung?

Im Jahr 2019 wurde von der Wirtschaftskammer in Kooperation mit dem Bundesministerium für Gesundheit, Soziales und Konsumentenschutz das Österreichische Qualitätszertifikat für Vermittlungsagenturen – ÖQZ-24 ins Leben gerufen. Dabei verpflichten sich die zertifizierten Agenturen die Qualität von Betreuungs- und Pflegedienstleistungen sicherzustellen. Der Schritt in Richtung mehr Qualität in der 24-Stunden-Betreuung seitens der Wirtschaftskammer und den Vermittlungsagenturen ist positiv zu bewerten. Das Zertifizierungsprogramm berührt jedoch auf freiwilliger Basis, was zur Folge hat, dass aus derzeit ca. 1000 in Österreich registrierten Vermittlungsagenturen nur 41 zertifiziert sind1. Es lässt sich daher feststellen, dass die Qualitätssicherung in der 24-Stunden-Betreuung aus zeitlicher und räumlicher Perspektive nur sehr langsam und nicht flächendeckend gewährleistet werden kann. Eine verpflichtende Teilnahme der Vermittlungsagenturen im Zertifizierungsprogramm wäre in dieser Hinsicht notwendig. Abgesehen vom Zertifizierungsprogramm sind die Reglementierung des Vermittlungsgewerbes und die Einführung von effektiven Kontrollmechanismen (neutrale Schlichtungsstelle, juristische Beratung und Rechtsvertretung, Aktivieren von Bezirksverwaltungsbehörden) sowie Sanktionen (Entzug der Gewerbeberechtigung) wirksame qualitätssichernde Maßnahmen. 

In Bezug auf den Inhalt des Zertifizierungsprogramms lässt sich leider nicht eindeutig feststellen, ob es die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Personenbetreuer:innen herbeiführen kann. Das Zertifizierungsprogramm ist übermäßig auf die Pflegequalität ausgerichtet und berücksichtigt das Verhältnis zwischen Vermittlungsagenturen und Betreuer:innen in unzureichender Weise. Es gilt anzumerken, dass die Förderung der Zertifizierung über die Fachgruppe der Personenberatung und Personenbetreuung erfolgt, in welcher die Betreuer:innen als EPUs die meisten Mitglieder ausmachen und somit die meisten Mitgliedsbeiträge abliefern!2 Die Betreuer:innen sind ebenso Klient:innen der Agenturen und zahlen für die Vermittlung sowie andere Serviceleistungen Gebühren. 

Aus diesen Gründen ist die Erweiterung des Zertifizierungsprogrammes um die Perspektive der Betreuer:innen unbedingt notwendig. Folgende Kriterien werden vorgeschlagen und sind in die Richtlinien zu integrieren: 

Arbeitssituation der Personenbetreuer:innen

  • Mitwirkung der Agenturen bei der Aufklärung der Betreuungsfamilien über den Arbeitsaufwand und die Ruhepausen – Stichwort „24-Stunden-Betreuung“ sowie die Angehörigenarbeit;
  • Der Betreuer:in ist gestattet, in außergewöhnlichen Situationen wie etwa Mobbing, Gewalt, sexuelle Übergriffe u.ä. seitens der Klient:innen und Familienangehörigen den Betreuungsvertrag ohne Verhängung einer Geldstrafe (seitens Familie/Agentur) mit sofortiger Wirkung zu kündigen. Die Agentur ist verpflichtet, die Akteur:innen darüber aufzuklären;
  • Konfliktmanagement ist aufgrund des Profitinteresses der Agenturen grundsätzlich durch unabhängige und neutrale Mediator:innen durchzuführen.

Verhältnis zwischen Agenturen und Betreuer:innen

Eingriffe in die Selbständigkeit der Betreuer:innen seitens der Agenturen sind zu unterlassen

  • Aktive Einbindung der Betreuer:in in die Honorarverhandlung (Tagessatz der Betreuer:in) mit der zu betreuenden Person;
  • Verbot der Inkassovollmacht3;
  • Verbot von Vertragsklauseln, die die Bedingung des gebundenen Transports beinhalten,
  • Verbot jeglichen Zwang und Weisungen in Bezug auf das Arbeitsverhältnis zwischen Betreuer:in und der zu betreuenden Person auszuüben und zu erteilen (Bestimmen von Turnussen und ihrer Länge; Tätigkeitsumfang; Zwang, (sexuelle) Gewalt und Ausbeutung zu dulden).

Qualität von Vermittlungstätigkeiten gewährleisten

  • Transparenz im Matching-Prozess: Verpflichtung der Agentur, transparente Informationen bzgl. des Gesundheitszustandes der zu betreuenden Person und den Haushaltsbedingungen in schriftlicher Form an die Betreuer:in zu übermitteln (Stellenbeschreibung). Verbindliche schriftliche Erklärung der Agentur, in welcher sie mit eigener Unterschrift für eine professionelle Durchführung von Matching haftet. Übermittlung irreführender, intransparenter und falscher Informationen (unprofessionelles Matching) durch die Agentur stellt einen Grund für die sofortige Kündigung des Organisationsvertrags dar (Kündigung aus wichtigem Grund) und berechtigt die Betreuer:in eine voraus gezahlte Vermittlungsgebühr zurückzuverlangen;
  • Die Agentur sorgt dafür, dass die Höhe der Agenturgebühren in einem angemessen Verhältnis zum Werklohn der Betreuer:in sowie zum angebotenen Service der Agentur steht. Die Agentur gestaltet gemeinsam mit der Betreuer:in ein individuelles und flexibles Dienstleistungspaket, d.h. der Betreuer:in wird gestattet, die für sie brauchbaren Agenturdienstleistungen in Anspruch zu nehmen.

Vertragstransparenz sicherstellen

  • Rechtzeitige Überreichung der Verträge an die Personenbetreuer:innen;
  • Verpflichtung der Agentur, uneingeschränkte Verschwiegenheitsverpflichtungen4 im Verhältnis zur Betreuer:in zu unterlassen. Die Verschwiegenheitspflicht betrifft nur sensible Daten der zu betreuenden Person;
  • Verpflichtung zur Unterlassung eines zeitlich und inhaltlich uneingeschränkten Konkurrenzverbotes sowie von unverhältnismäßig hohen Konventionalstrafen5;
  • Offenlegung der Zusammenarbeit mit Partneragenturen im Ausland und Haften für die Einhaltung der Qualitätskriterien durch die Partneragenturen6;

Wirksame Sanktionen

  • Im Rahmen des Zertifizierungsprogramms ist bei der Nichteinhaltung der Richtlinien ein Entzug des Qualitätssiegels vorgesehen. Die Agentur wird jedoch nicht daran gehindert, ihre dubiosen Vermittlungspraktiken weiterhin ungestraft auszuüben. Es ist daher dringend notwendig, über wirksame Sanktionen außerhalb des Zertifizierungsprogramms nachzudenken (Geldbußen, Entzug der Gewerbeberechtigung), die proportional zum Fehlverhalten der Agenturen sein müssen.

 


1 Vgl. die Webseite von ÖQZ-24: https://oeqz.at/zertifizierte-vermittlungsagenturen/. Abgerufen am 24.08.2022.

2 Vgl. die Förderrichtlinie der WKÖ: https://oeqz.at/wp-content/uploads/2020/07/F%c3%b6rderrichtlinie-14.07.2020.pdf. Abgerufen am 24.08.2022.

3 Als selbständige Unternehmer:innen haben Betreuer:innen das Recht, die Zahlungsmodalitäten mit der zu betreuenden Person bzw. deren Angehörigen frei auszuhandeln. An dieser Stelle möchten wir betonen, dass sich die Inkassovollmacht der Agenturen in der Praxis für Betreuer:innen als benachteiligend erweisen hat (undurchsichtige Provisionsmodelle, Abziehen von Strafen bei Streitigkeiten, Verzögerungen bei der Auszahlung der Honorare). Zusätzlich werden für die Inkassovollmacht noch Gebühre verrechnet, die die Agenturdienstleistungen unnötig verteuern.

4 Vgl. vgl. Urteil des LG Linz vom 27.3.2013, 1 Cg 1/13g (rechtskräftig).

5 Vgl. Urteil des LG Linz vom 27.3.2013, 1 Cg 1/13g (rechtskräftig).

6 Erstellung eines Kataloges mit Qualitätskriterien für die internationale Kooperation zwischen den Agenturen sehen wir als ein zwingender Bestandteil eines Zertifizierungsprogramms.